Pimlico - Wie ein britischer Film die Berlinblockade auf den Kieker nahm
Veröffentlicht:Filmgeschichte im Roman II: Passport to Pimlico
Hier möchte ich kurz den in Großbritannien einst legendären Film Passport to Pimlico vorstellen. Er gehört zu den Filmen, in denen sich die Nachkriegszeit unmittelbar in Bildern "ablesen" lässt. Zum einen ganz unmittelbar durch die Drehorte: man sieht Teile Londons, die durch den "Blitz", den deutschen Angriffskrieg auf die Stadt London, zertört worden waren; allerdings nicht Pimlico, sondern der benachbarte Stadtteil Lambeth diente den Außenaufnahmen. In den Trümmern gedreht: also durchaus ein "rubble film" (Trümmerfilm) - nur, dass es sich bei Passport to Pimlico um eine Komödie handelt - was vermutlich auch beim Herauskommen des Films 1949 in England zu seinem großen Erfolg führte.
Auch wenn die Themen der Zeit greifbar blieben, der Hunger, dass es keinen Strom gab oder kein Wasser, der Schwarzmarkt, das allgemeine Chaos, das Verhältnis zu den Deutschen ... war der Film geprägt von Selbstironie, einer ersten Distanz und dem Schwung des Nach-vorn-Schauens: Das beginnende, sich versuchsweise normalisierende Leben, die Fragen nach der Gestaltung der Zukunft, selbst die Frage, wem man einen Kredit geben könnte, um ein kleines Geschäft aufzubauen ...
Man fing an zu lachen.
Burgundy, Burgundy! - "A country of its own"?
Dass die Briten schon immer ein besonderes Völkchen waren, mit eigenen Vorstellungen dessen, was Zugehörigkeit sein könnte, zeigt dieser Film aus dem Jahr 1949: Passport to Pimlico.
Die Ealing Studios, die in den 1940er Jahren mit ihren Produktionen dem britischen Film zu seiner "golden age" verhalf, hatten ihre Ohren ganz dicht am Zeitgeschehen. Geradezu unheimlich ist es, dass sie noch vor der realen Berlinblockade im Juni 1948 auf die Idee kamen, einen Film über die Blockade in einer anderen Stadt zu drehen: London nämlich.
Eine große Hitzewelle plagt die Stadt. Beim Fußballspielen treffen Jungs im Londoner Stadtteil Pimlico eine Fliegerbombe vom "Blitz". Sie detoniert, und freigelegt wird eine Höhle mit Schätzen ... darunter auch ein besiegeltes Dokument, das besagt: Pimlico gehört zum Terroritorium des Königreichs Burgund.
Es ist kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Stadt ist in vielen Teilen zerstört, die Menschen leiden Hunger - aber werfen sich mit Schmackes auf diese Neuigkeiten: wir sind Burgundy, rufen sie, und berauschen sich daran, Separatisten zu sein.
Pimlico wird zur eigenen Zone erklärt und sofort bricht ein Schwarzmarkttourismus ohne Regeln und Zoll aus, was der Londoner Regierung freilich nicht gefällt. Also wird eine Grenze eingerichtet, und die armen Pimlicoer sind abgeschnitten von Strom, Wasser und Nahrungsmitteln ... und auch wenn man an Irland ebenso gut denken könnte, sind die Bilder der Stacheldrahtrollen, die nun eiligst um Pimlico gezogen werden, sehr sehr nah an dem, was wir aus Berlin kennen ...
Nur, dass es sich hier um eine Komödie handelt. Wilde Diskussionen entbrennen, ob man unter diesen Umständen noch Burgundy bleiben möchte oder klein beigeben soll, um wieder zu Großlondon zu gehören (man denke an GB und die EU, haha), und bald stehen Schaulustige am Zaun zu Pimlico und werfen Sandwiches, Äpfeln und Bananen hinüber ...
Die beliebte Margret Rutherford, vielen bekannt als die Miss Marple, spielt in diesem lustig-schrägen Film ebenso mit wie Stanley Holloway, Hermione Baddeley und Paul Dupuis.
hier eine schöne Szene mit Margret Rutherford bei der Grenzkontrolle: https://www.youtube.com/watch?v=AKrc0nIBHFs
Das Drehbuch schrieb T.E.B. Clarke,
Regie führte Henry Cornelius.
Der Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=_ZvLqZ4-8-M
Im Roman "Meine kleine Großmutter .... "
wird im Kapitel VI. "Träumen, phantasieren, erinnern" / 6. Passport to Pimlico erzählt, wie die kleine Großmutter, Ida, auf den Film reagiert .... S. 306 ff.
Der Film beleuchtet im Roman nicht nur den sehr speziellen britischen Humor, sondern er wird eingefügt nach einem Kapitel über die Irankrise ("Schlamassel in Teheran"), die den Auftakt zum Kalten Krieg bildete, der sich 1949 bereits abzeichnet. Im Roman wird auch die schräge Geschichte erzählt, wie der Drehbuchautor auf seine Idee kam ...
Ein Kommentar zum Brexit?
Auch in England hat schon der eine oder andere an die Parallelen zur heutigen Situation gezogen, soe im Artikel auf der website des British Film Institute, BFI: https://www.bfi.org.uk/news-opinion/news-bfi/features/passport-pimlico-locations-ealing-comedy
Isolation oder Internationalismus? - Wie kommt es, dass in Passport to Pimlico ein Klima eingefangen werden konnte, das dem heutigen gleicht - oder umgekehrt: Hat sich an diesem Klima nichts geändert?, fragt der Autor des Beitrags, Adam Scovell, der auch einige der Originalschauplätze heute besucht hat und mit den Aufnahmen im Film verglichen: diese Bilder sind auf der website zu sehen.
Eine Info zur Idee des Films habe ich erst jetzt nachträglich gefunden. Der Autor, T.E.B. Clarke hatte wohl ein schräges Buch gelesen: ‘What if the Duke of Burgundy had survived the Battle of Nancy and sought asylum in England?’ - https://cine-vue.com/2012/06/film-review-passport-to-pimlico.html
in Deutschland
wurde der Film in einer Synchronfassung im Kino 1951 gezeigt, im Fernsehen dann 1969.
Im Radio, zum Hören:
Es gibt auch eine BBC Hörspielproduktion: https://www.youtube.com/watch?v=GJyqOUpSsbM