Aus Afghanistan ... nach Afghanistan ... was bedeutet eigentlich "Zugehörigkeit"? Was ist das, "Identität"
Nach über zwanzig Jahren kehrt Mahboob aus Frankfurt nach Kabul zurück und trifft dort auf seinen Vater, den er seit der Flucht mit seiner Mutter 1979 nicht mehr gesehen hat. Fragen bedrängen den jungen Mathematiker: Wieso wurde die Familie getrennt? Und was geschah mit seiner Schwester Aziza? Nun sind die Taliban abgezogen, das Land ist zerstört, aber voller Hoffnung. Mahboob taucht immer tiefer ein in diese fremde und doch vertraute Welt. Er beginnt, um den Wiederaufbau seiner alten Schule zu kämpfen – und ist doch nur auf der Suche nach sich selbst: Wer bin ich? Wohin gehöre ich?
https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/510740/deutsch-afghanisches-autorenduo-liest-in-osnabruck
Ein Roman im Dazwischen oder im Beides-und-sogar-Vieles-Sein
"Sensibel und leise zeichnet der Roman die Suche des jungen Mannes nach seinen Wurzeln im alten und heutigen Afghanistan nach.“
Monika Melchert, Lesart 3/2014
Afghanistan … Als ich 2011 eine Email bekam, ob ich Interesse hätte, an einem Buch zum Thema „Vatersuche in Afghanistan“ zu schreiben, überlegte ich nicht lange. Kurz danach erhielt ich ein großes Paket per Luftfracht über die Bundeswehr, mit duftenden Gewürzen, Rosinen aus dem Pandschirtal, Salz aus dem Himalaya, grünem Tee und frischen Kardamomschoten. Etwas über den Anfang der Geschichte und vieles mehr findet man in unserem Blog http://der-himmel-ist-ein-taschenspieler.blogspot.de.
Bild: David Majeds Vater in Kabul, Mitte der 1970er
In den vergangenen Jahren sind wieder viele Menschen aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, geflohen vor der Hoffnungslosigkeit und der Gewalt.
Bild: David Majed mit seinem alten Mathelehrer
David Majed, der selbst 1984 mit seiner Familie aus Kabul nach Deutschland geflohen war, ging 2005 zum erstenmal zurück. Der Schock, den er erlebte, die halb vertraute, halb fremde Heimat wiederzufinden, zerstört und verstörend, war ein so tiefgreifendes Erlebnis für ihn, dass er den Wunsch hatte, daraus einen Roman zu machen. Doch er wollte ihn gern mit jemandem zusammen schreiben. Und fand mich.
Die Begegnung Martin Mahboobs, der sich einen deutschen Namen zugelegt hatte, um dazuzugehören, mit seinem alten Vater, den er zwanzig Jahre nicht gesehen hat, wurde zum Zentrum des Buches, das man in seiner Fülle kaum nacherzählen kann. Martin Mahboob geht nach Kabul, setzt sich mit dem Vater auseinander, hilft, seine alte Grundschule wieder aufzubauen, forscht nach verschwundenen Familienmitgliedern und wird mit der Frage konfrontiert: Wer bin ich - zwischen diesen Kulturen?
Ich lernte sehr viel bei dieser Zusammenarbeit. Ich recherchierte die Geschichte Afghanistans, ich interviewte Davids Mutter und Schwestern, die in Frankfurt leben, sah Filme und begann, Persisch zu lernen. Denn Darikurse gab es noch nicht in Berlin, und Dari, eine der Hauptsprachen Afghanistans, ist mit dem alten Farsi verwandt. Inzwischen ist das anders.
Ich fuhr - nach drei Anläufen - nicht nach Afghanistan, wo David seit 2005 überwiegend lebt. Meine drei Töchter waren im Abitur und die Sicherheitslage wurde immer schwieriger. David lieh mir seine Augen und Ohren, wir korrespondierten per Mail und skypten.
Freitags hörte ich, wenn wir telefonierten, im Hintergrund den Muezzin.
Das Buch ist den Menschen gewidmet, die wieder aufbauen, was andere zerstörten. Es erzählt vom Alltag, es ist keine reißerische Geschichte und es gibt keine Klischees. Es gibt einfach die jahrzehntelange komplizierte Geschichte eines ständig besetzten und bekämpften Landes, erzählt über Figuren wie Tante Farida, die Krankenschwester und den alten Lehrer Mahboos, Farid, den Ladenbesitzer Malem und die junge Kommunistin Aziza, Mahboobs verschwundene Schwester.
Wir haben versucht, so viele Facetten wie möglich einzufangen, Stadt und Land, Männer und Frauen, Krieg und Frieden, Liebe und Verzweiflung, Rohes und Poesie.
"Jedes Staubkorn, das auf der Erde lag,
war ein Sonnenantlitz oder die Stirne des Morgensterns;
wische das Staubkorn sanft von deinem Ärmel -
auch dieses war ein schönes, zartes Angesicht."
–
Omar Chajjam, Wie Wasser strömten wir
Im Jahr 2014, in dem Afghanistan durch die Präsidentschaftswahlen und den Abzug der Bundeswehr wieder im Fokus steht, zeigen uns Tanja Langer und David Majed ein überraschend anderes Afghanistan. Wer sind die Menschen, die das aufbauen, was andere zerstörten? Wie gehen Menschen mit ihren Verletzungen durch den Krieg um? Was macht ein Schuldirektor, der ständig neuen Besatzern begegnet? Was eine engagierte Krankenschwester, deren halbe Familie verschwunden ist? Warum zieht eine junge Frau in den Siebzigern es vor, in Afghanistan zu bleiben? Wie zieht eine Frau aus Afghanistan, von Mann und Tochter getrennt, ohne genaues Wissen über ihren Verbleib, ihren Sohn in Frankfurt am Main allein groß, in den Achtzigern? Worüber wird bei ihnen gelacht, worüber wird nie gesprochen?