Worum es geht, knapp gesagt
Helen wächst im Golf Club Restaurant ihrer Eltern auf, Flüchtlinge aus Oberschlesien. Sie liebt die Literatur, ist politisch hellwach und liest Marx in einer Ökobäckerei. Bei einer Talk-Show trifft sie als Abiturientin auf den Vorsitzenden der größten deutschen Bank der Achtziger Jahre, Julius Turnseck. Zwischen den beiden funkt es ... Eine Geschichte, in der Helen viele Briefe schreibt, in der sich die Liebe immer wieder eine neue Form erfinden muss, und die brutal beendet wird, als Julius 1989 bei einem spektakulären politischen Attentat getötet wird.
Ausgelöst durch das Gespräch mit einem Journalisten, fängt Helen an sich zu erinnern, zwanzig Jahre später. Es wird ein Rückblick auf ihr eigenes Leben udn zugleich die Suche nach seinem, nach allem, was sie von ihm wusste udn dem, was sie neu darüber findet.
Mit großer Komik erzählt sie sich selbst wie den LeserInnen, wie sie den Bankier als junge Frau kennenlernte, wie hell und leicht alles begann, wie schnell er Karriere machte und wie chaotisch sie sich durchs Studium schlug. Wie viele Briefe sie ihm schrieb, und wie sich ihr Verhältnis immer wieder neu erfand und ernster wurde. Wie brutal der Tod einschlug. Helen geht los, um Journalisten zu befragen, die Julius kannten, alte Männer, die mit ihm in die berühmt-berüchtigte "Reichsschule" der Nazis ging, sie vesenkt sich in Stasiakten und vor allem - ihr eigenes Gedächtnis. Ihre Briefe, die sie einst an ihn schrieb und von der Witwe zurückerhielt, ihre Tagebuchnotizen, ihre Erinnerungen, die ihr vor lauter Recherche plötzlich abhanden zu kommen drohen.
Ein Roman darüber, was ein Mensch einem anderen bedeuten kann, über viel Trennendes hinweg, vor dem Hintergrund deutsch-deutscher Zeitgeschichte, von den 1930ern bis heute.
Der Roman
lebt vom wechselnden Ton, den verschiedenen Atmosphären und Perspektiven. Er ist gebaut wie eine liegende 8: Leben, Liebe, Tod, Die dringliche Suche nimmt die LeserInnen mit auf eine große packende Reise, die zugleich einlädt für eigene Gedanken.
Entstehung, "Realität", Reaktionen
Zu diesem Roman erhielt ich bisher die meisten Leserbriefe, unzählige.
Es waren Briefe, die in meiner Freundschaft mit dem Bankier Alfred Herrhausen (1930-1989) vieles bestimmten, und es waren Briefe (meine eigenen, zu mir zurückgekehrten), die diesen Roman in Gang brachten. Und es ist, als ob Briefe das Ausdrucksmittel wären, auf meinen Roman zu reagieren. Briefe, mit dem Füller und der Hand geschrieben, oder elektronisch … Meine älteste Leserin war 92 Jahre alt, sie legte ein Foto von sich selbst als Abiturientin 1942 dazu. Die jüngste, die mir schrieb, war 18.
Als im Jahr 2004 der Journalist Ulli Kulke für DIE WELT etwas über Alfred Herrhausen und meine Briefe an ihn veröffentlicht hatte („Lieber Alfred!“), meldeten sich Talk-shows, Filmemacher, Verlage und alle mögliche Menschen bei mir. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich freute mich über das große Interesse an Alfred Herrhausen, und auch an mir, doch es war zugleich so, als würde mir meine eigene Geschichte, die ich gar nicht in allem so klar vor Augen hatte, entrissen.
In den Jahren danach fragte ich mich immer, wie ich sie erzählen könnte, und wie sie für andere interessant sein könnte. Irgendwann wurde deutlich, dass ich aus Helen und Julius zwei Protagonisten machen müsste, mit denen die deutsche Nachkriegsgeschichte verbunden ist: Er, Jahrgang 1930, Kind in der Nazizeit, junger Mann in der Nachkriegszeit; und sie, Jahrgang 1962, über die Erlebnisse der Eltern und Großeltern mit dieser Zeit atmosphärisch verbunden, doch selbst in einem ganz anderen politischen Klima großgeworden. Hinzu kamen meine Recherchen über die Banken der DDR und der BRD, ihre Bedeutung für die Politik; die Frage nach dem Grund der Ermordung. Nach und nach wurde der Roman zu einer großen Erinnerungsarbeit; ich erlebte Überraschungen, Einbrüche und Erkenntnisse und beschloss, dass die Suche ein Teil des Romans sein müsste. Die Gespräche mit den alten Herren, die wie Julius / Alfred Herrhausen in der Reichsschule Feldafing waren, von 1942 bis 1945. Die Heiterkeit des Anfangs: Für Helen, die nach dem Abi in die Welt zieht, die ersten Begegnungen der beiden, Anfang der 1980er Jahre, die Unbeschwertheit der Aufbruchsstimmung. Das Buch sollte nicht ständig vom Tod überschattet werden. Ich wollte auch von einer Zuneigung erzählen, die sich immerzu verwandelt hat, ich entdeckte in der Auseinandersetzung im Nachhinein, wie wichtig die Anerkennung eines erwachsenen Menschen für mich gewesen ist, der mich immer wieder aufforderte: Schreib mir!
Viele Menschen schreiben mir, dass sie das Buch wie eine Begleitung im Nachdenken über ihre eigene Lebenszeit empfunden haben. Im Nachdenken über die Fragen, wie man geworden ist, welche Menschen wichtig waren, wie man Entscheidungen getroffen hat. Dass sie gelacht und geweint haben, beim Lesen.
Es ist mir nicht immer leicht gefallen, dieses Buch zu schreiben, ich hatte viele Zweifel und war oft traurig, obwohl ich mich auch in manchen Kapiteln („Madame Pompadour in München“) amüsiert habe. Umso glücklicher haben mich die Reaktionen gemacht, die vielen wunderbaren Briefe.
TL.