Time Capsules in Thüringen
Als die Fotografin Barbara Schnabel und der Bildhauer el.doelle ihr gemeinsames Projekt "Westgreußen - Für immer fort und ganz vergangen" 2012 zum erstenmal im Haus am Lützowplatz in Berlin ausstellten, war ich ebenso begeistert wie die meisten Besucher, die sehr intensiv reagierten und von den Häusern und Wohnungen ihrer Eltern und Großeltern sprachen. Man hörte Sätze wie "so roch es bei meiner Tante auch", dabei gab es nur Dinge zu sehen, aber man hörte auch "typisch DDR". Dabei entpuppten sich viele Gegenstände, Möbel und Tapeten als viel älter, aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, aus dem Kaiserreich und den "modernen" Zwanzigern.
Ein Blick in ein Jahrhundert, in eine große Zeitblase, so wie Andy Warhol für jedes Jahr einen Karton hatte: Time Capsules.
Etwas halb Erzählerisches, halb Archivarisches, auch ein bisschen Philosophisches schwebte mir vor.
„Vielleicht eins der schönsten Bücher des Jahres.“
Marion Brasch, Die Literaturagenten rbb, Dezember 2014
Zu dritt führten wir lange Gespräche, über den unterschiedlichen Blick der beiden, ich interviewte el.doelle über seine Kindheit bei dem Großvater in Thüringen, mit seiner Schmiede. Ich recherchierte, was es mit einzelnen Dingen auf sich hat - wie z.B. eine alte Maggiflasche-, befragte auch den Kunsthistoriker und Kurator Wolfgang Siano, der Tapeten und Möbel zeitlich genau einordnete, und dachte darüber nach, warum ich so gern auf Flohmärkte gehe, besonders in Frankreich. Was es mit der verrückten Aura der Sachen eigentlich auf sich hat. Ich entdeckte u.a. einen Zusammenhang: Meine eigene Familie musste aus Oberschlesien fliehen, es gab überhaupt nichts Altes bei uns, sie hatten von ihrem alten Zuhause gerade mal eine Handvoll Fotos gerettet.
Bei meinen Lesungen aus "Das Haus" riefen Leute: das mache ich auch, das ist eine tolle Idee, bevor ich das Haus der Eltern auflöse - aber es gehört eine besondere Art der Verarbeitung dazu, dass es eben nicht nur persönliche Schnappschüsse werden, sondern eine Reflektion über Vergänglichkeit, eine Überhöhung in etwas Allgemeines. Es sind künstlerische Vorgänge, die Bilder und Installationen erstellen, die überhaupt besondere Wahrnehmungen aus dem Haus holen, das zwölf Jahre lang in einem Dornröschenschlaf lag, weil die Oma im Heim war und man es für ihre Rückkehr in Ordnung hielt.
Es geht auch um Empfindungsräume, Geborgenheit, Heimat, eine gemeinsame Zeit der Deutschen vor der Teilung. So vieles schwingt ind en ausgezeichneten Arbeiten der beiden Künstler mit.
"Unsere Seele ist eine Wohnung, schreibt der französische Philosoph Gaston Bachelard in seinem Buch "Poetik des Raumes", "und wenn wir uns an 'Häuser' und 'Zimmer' erinnern, lernen wir damit, in uns selber zu wohnen."
Barbara Schnabel udn el.doelle haben das Projekt inzwischen weiter entwickelt; auch in unserer Zusammenarbeit: In Schneverdingen machten wir zum 1. Mai 2016 zusammen mit der Künstlerin Dietlind Horstmann-Köpper das Projekt "Ein Schaf im Haus der Zeit" (Kurator: Wolfgang Siano). Ich führte vom Kulturraum in die Kapelle, zwischen den beiden Ausstellungsräumen also, über den Friedhof, der sie trennt: Was bleibt von denen, die sterben, was geschieht mit all ihren Dingen?
in der alten Schmiede
Zum Buch gibt es eine Edition mit einzelnen Motiven - direkt erhältlich bei el.doelle und Barbara Schnabel.
Wie zum Beispiel diese Kittelschürze.
Die erste Ausgabe des Buchs erschien 2014 im Verlag LangenMüller, und jetzt, im August 2021, neu im Mitteldeutschen Verlag.
My friend Lutz Doelle (artist http://eldoelle.de/seiten/oeffentlicherraum.html) grew up in East Berlin; in his vacations as a kid he visited his grandfather in (on) the country side in Thüringen (GDR, middle east Germany) in a very small village named “Westgreussen”. When his grandfather died, Lutz had to dissolve the house. But before doing so, he and his friend Barbara Schnabel, a photographer, decided to make an art project of it: Westgreussen – forvere gone and forgotten.
http://www.barbara-schnabel.de/5.html
I saw it at an exhibit in Berlin and loved it, because I am a “grandfather´s child” also ...
But not only for that reason. They found like a hundred years of history in the house, and in their installation and Photographs they collected some philosophical aspects of the life that is found in the things we are using every day, the stories they are telling. I suggested my editor to make a book out of it, and so we did. I wrote a text telling the story of the child coming to his grandfather, what he lived and learned there, what made him also an artist what is now to be found in the way he now constructed the pictures he took in this house. I also figured out the story of some of the objects, furniture, things, and it was very funny and surprising. Some look as if they were typically GDR, but they come from the 1920ies ... I or were “made in West-Germany”. I explained the layers of the different political regimes under which the people in this house had lived, and I found an invented the story of that man, the grandfather. So it became a semi philosophical reflection, semi narrative.